Zur Sache: Einblicke in das schwedische Gesundheitssystem
Interview aus Hamburg
Eine Hamburger Delegation unter Leitung von Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer hat sich auf einer dreitägigen Reise das Gesundheitssystem in Schweden angeschaut, um von dort Impulse für Veränderungen im deutschen System mitzunehmen.
Im Fokus standen die Themen Patientensteuerung und Digitalisierung. Von der Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) bis hin zu den Herausforderungen der regionalen Versorgung - das schwedische Modell bietet interessante Ansätze, aber auch Lehrstücke für die deutsche Gesundheitsversorgung.
Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, war Teil dieser Delegation. Im Interview "Zur Sache" spricht sie über die wichtigsten Erkenntnisse und die Unterschiede zwischen den beiden Systemen.
TK: Frau Puttfarcken, was waren Unterschiede, die Sie zwischen dem schwedischen und dem deutschen Gesundheitssystem festgestellt haben?
Maren Puttfarcken: Zunächst muss man eins vorwegschicken: Schweden hat ein staatliches Gesundheitssystem. Die Versorgung für die 10,5 Millionen Schweden wird von den 21 Regionen organisiert und aus den jeweiligen Steuermitteln finanziert. Das heißt: Die, die Versorgung planen, bezahlen sie auch. Das ist in Deutschland bekanntlich anders.
Bei der Versorgung selbst ist Steuerung ein riesiges Thema. Erste Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten sind Primärversorgungszentren. Eine Nurse führt eine standardisierte medizinische Ersteinschätzung durch und entscheidet, ob ein physischer Hausarztbesuch überhaupt notwendig ist. Einen Facharzt oder eine Fachärztin kann man dann nur mit einer Überweisung aufsuchen, die Wartezeiten darauf sind häufig sehr lang. Eine freie Arztwahl, wie wir sie kennen, ist in Schweden nicht vorgesehen. Da es, wie hierzulande auch, einen Fachkräftemangel gibt und gleichzeitig immer mehr alte Menschen mit immer mehr medizinischen Bedarfen, versucht man in Schweden, jeden nicht unbedingt nötigen Arztkontakt zu vermeiden bzw. die Probleme anders und mit mehr Eigenverantwortung der Menschen zu lösen.
Dazu gehört auch der selbstverständliche Einsatz der ePA. Studien zeigen, dass Patientinnen und Patienten durch die ePA mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen und mehr auf Augenhöhe sind mit ihren Behandlern und Behandlerinnen. Dazu passt auch der wachsende Anteil digitaler Lösungen in der Gesundheitsversorgung: Die Schweden stehen, wie alle Nordeuropäer, der Digitalisierung sehr offen gegenüber. Kleiner Wehrmutstropfen: Es gibt nicht die eine ePA, sondern 21 - jede Region hat ihre eigene, und die Akten sind nicht notwendigerweise miteinander kompatibel. Fehlende Interoperabilität scheint auch in Schweden ein großes Thema zu sein.
Maren Puttfarcken
Es ist wichtig, dass wir auch in Deutschland künftig besser steuern und dafür sorgen, dass die Menschen bei Bedarf in das jeweils für sie richtige Versorgungsangebot geleitet werden - wobei gilt: digital vor ambulant vor stationär.
TK: Wie bewerten Sie insgesamt die digitale Gesundheitsversorgung in Schweden im Vergleich zu Deutschland?
Puttfarcken: Ganz klar ist uns Schweden in Sachen Digitalisierung weit voraus: Neun von zehn Schweden nutzen für Services ihre e-ID. Die ePA ist seit zwölf Jahren aktiv, alle Befunde landen dort, alle Behandler dokumentieren ganz selbstverständlich in der Akte. Datenschutz ist ein Thema, aber die Frage nach dem Nutzen überwiegt ganz klar. Dazu gehört auch, dass Schweden Weltmeister beim Thema Register ist, für die alle möglichen Daten gesammelt und ausgewertet werden. Und Rezepte gibt es seit Jahren ausschließlich digital.
Ganz wichtig ist auch die Plattform 1177, bei der fast alle Schwedinnen und Schweden einen eigenen Account haben. Über sie versuchen die Regionen, die Versorgung digital zu steuern - durch validierte Gesundheitsinformationen, Beratungs- und telemedizinsche Angebote. Hier ist auch die Absprungstelle in die ePA. Auch die Primärarztversorgung läuft zunehmend digital: 2023 waren bereits 15 Prozent aller Konsultationen digital, Tendenz steigend. Gerade in nicht so dicht besiedelten Regionen ist Schweden auf Telemedizin angewiesen. Auch immer beliebter werden Beratungen per Chat. Eine Online-Terminvermittlung ist allerdings auch hier noch Zukunftsmusik.
Allerdings gibt es auch in Schweden Unzufriedenheit über lange Wartezeiten, und immer mehr private Anbieter drängen auf den Markt. Das zeigt, dass digitale Lösungen zwar wichtig sind, aber nicht alle Herausforderungen im Gesundheitswesen lösen können.
TK: Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Puttfarcken: Wir waren sehr beeindruckt vom Vertrauen, das die Schweden in den Staat und ihr System haben. Sie leben in einer Solidargemeinschaft und tragen Verantwortung für sich selbst - und damit natürlich auch für ihre Gesundheit. "Samverkan" heißt das auf Schwedisch - Zusammenwirken auf allen Ebenen. Auch, dass man in Schweden oft "einfach mal macht", ohne vorher einen Generalplan entworfen zu haben. Das würde uns sicher auch an der einen oder anderen Stelle weiterhelfen!
In Summe sind die beiden Länder natürlich nicht in allem vergleichbar. Aber ich fand es sehr gut, mit allen Mitreisenden aus den verschiedenen Bereichen des Hamburger Gesundheitswesens gemeinsam zu überlegen, was wir von den Schweden lernen können - aber auch wertzuschätzen, was wir haben, und wo wir, zum Beispiel bei der Anlage einer nationalen ePA, trotz aller Schwierigkeiten gar nicht so schlecht sind!
Bestätigt gesehen habe ich mich beim Thema Zugang: Es ist wichtig, dass wir auch in Deutschland künftig besser steuern und dafür sorgen, dass die Menschen bei Bedarf in das jeweils für sie richtige Versorgungsangebot geleitet werden - wobei gilt: digital vor ambulant vor stationär. Auch vor den Erfahrungen in Schweden finde ich, dass wir hier als TK ein sehr gutes Modell entwickelt haben!