Zeit für ein Update - Primärversorgung im 21. Jahrhundert
Artikel aus Mecklenburg-Vorpommern
Digitale Ersteinschätzung, digitale Terminbuchung und digitale Versorgungsmöglichkeiten werden zukünftig die Versorgungsrealität in Mecklenburg-Vorpommern prägen.
Die ärztlichen Versorgungsbedarfe der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern haben sich in den vergangenen 100 Jahren stark verändert. Ende des 19. Jahrhunderts hießen die großen Gesundheitsherausforderungen noch Unterernährung, Infektionskrankheiten und Arbeitsunfälle. Mittlerweile dominieren chronische Gesundheitsprobleme und ihre Auswirkungen das Versorgungsgeschehen. Weit verbreitete Erkrankungen sind Diabetes, Rückenschmerzen und auch Depressionen. Menschen mit Gesundheitsleiden brauchen in der Regel eine intensivere ärztliche Betreuung als Menschen, die kerngesund sind. Gerade Menschen mit chronischen Leiden benötigen eine regelmäßige Betreuung.
Während sich die Versorgungsbedarfe in den vergangenen Jahrzehnten also stark verändert haben, sind die Strukturen weitestgehend unangetastet geblieben. An der strikten Trennung zwischen ambulanten und stationärem Versorgungsbereich, den vielfach antiquierten Organisations- und Verwaltungsabläufen in Kleinstpraxen und an dem Leistungsangebot von kleineren Krankenhäusern in ländlichen Regionen veränderte sich wenig.
Im Gegensatz dazu haben sich die Lebensgewohnheiten der Menschen radikal verändert. Laut destatis shoppen mehr als 83 Prozent der Menschen online und dreißig Prozent der Teilnehmenden an der repräsentativen Befragung erwerben sogar Artikel des täglichen Bedarfs im Netz. Auch die Mehrwerte des Internets bei der Buchung von Dienstleistungen zeigen, wie digital die Menschen mittlerweile leben. Eine Umfrage des bitkom e.V. offenbart, dass fast jeder Zweite bzw. jede Zweite ihren Urlaub online bucht. Digitale Medien sind also längst im Alltag aller Altersgruppen angekommen und bieten den Nutzenden Mehrwerte in ihrer Alltagsorganisation. Auch bei Gesundheitsfragen nutzen Viele das Internet als erste Anlaufstelle. Da die dortigen Informationen in der Regel nicht ärztlich fundiert bzw. qualitätsgesichert sind, bestehen nicht selten Unsicherheiten im Umgang mit den gefunden Informationen. Es wird Zeit, dass die Vorteile digitaler Technologien noch stärker in das Gesundheitswesen integriert werden und nicht als unsicherer Parallelzweig neben den Versorgungsstrukturen bestehen.
Digitale Ersteinschätzung - ein Tool für die Moderne
Die Errungenschaften der universellen Gesundheitsfürsorge des deutschen Gesundheitswesens benötigen ein Update in das 21. Jahrhundert. Dabei bieten die modernen Medien die Möglichkeit, die bestehenden Strukturdefizite abzubauen, Versorgungsherausforderungen zu lösen und die Versorgungsrealität zeitgemäß zu gestalten. Die erste Frage, die in unserem Gesundheitssystem systematisch, evidenzbasiert und individualisiert beantwortet werden muss ist: Wohin wende ich mich mit welchem medizinischen Problem? Um Patientinnen und Patienten auf die richtigen Behandlungspfade aufzugleisen, braucht es ein Instrument zur digitalen Ersteinschätzung des gesundheitlichen Versorgungsbedarfs. Denn viele Menschen wissen nicht, wo sie mit ihren Beschwerden richtig aufgehoben sind und wo ihnen zügig geholfen werden kann. Die Fragmentierung des Systems trägt zu einer ineffizienten Inanspruchnahme der Versorgungskapazitäten bei und äußert sich in Ablehnungen von Neupatientinnen und Neupatienten, langen Wartezeiten oder überfüllten Notaufnahmen. Wichtig ist, dass die Ersteinschätzung überall und diskriminierungsfrei zugänglich ist - egal ob in der App, telefonisch, in der Arztpraxis oder am Krankenhaus. Mit Hilfe dieses Instruments werden die oben geschilderten Lebensgewohnheiten der Menschen aus anderen Bereichen mit dem evidenzbasierten Versorgungsanspruch im Gesundheitswesen verknüpft. Die Vorteile dieses Ansatzes sind vielfältig:
- bessere Steuerung der Patientinnen und Patienten in die richtige Versorgungseinrichtung bzw. Praxis
- Verringerung von bürokratisch induzierten Arzt-Patientenkontakten bei Bagatellerkrankungen
- schnellerer und direkter Weg zum richtigen Facharzt bzw. richtigen Fachärztin
- im Notfall direkter Zugangsweg in die Notfallversorgung
Damit die Ersteinschätzung einheitlich und evidenzbasiert ist sowie zum solidarischen Gesundheitswesen passt, sollte es gemeinschaftlich von den Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens entwickelt werden.
Terminserviceplattform im solidarischen Gesundheitswesen
Damit das digitale Ersteinschätzungsinstrument seine volle Wirkung entfalten kann, sollte es um eine kostenfreie und bundesweit einheitliche Terminbuchungsplattform in allen ambulanten Praxen ergänzt werden. Diese gemeinsam von Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) verantwortete Plattform sollte so konzipiert sein, dass sie das Praxismanagement vereinfacht und den Patientinnen und Patienten eine tagesaktuelle Kapazitätsübersicht über die freien Konsultationsmöglichkeiten in einer Praxis erlaubt. So könnten die Versorgungsbedürftigen nach der digitalen Ersteinschätzung direkt auf digitalem Weg in die richtige Praxis gesteuert werden. Gleichzeitig können über die Terminplattform im Bedarfsfall auch Videosprechstunden oder Telekonsilkapazitäten vermittelt werden.
Chance für Mecklenburg-Vorpommern
Der Alltag der Einwohnerinnen und Einwohner in Mecklenburg-Vorpommern ist in den vergangenen fünf Jahren erheblich digitaler geworden. Smarte Anwendungen gehören in vielen Bereichen längst zur Lebensrealität. Gerade mit Blick auf die Versorgungssituation im ländlichen Raum braucht es diese Innovationen auch im Gesundheitswesen, um die Versorgung im ländlichen Raum zu erleichtern. Die digitale Ersteinschätzung und eine kostenfreie Plattform für einen digitalen Terminservice sind solche Innovationen. Ausgehend von den geschilderten Potentialen können Leistungserbringende und Versorgungsbedürftige gleichermaßen profitieren.