Gesundheitsversorgung für ALLE: Heiße Debatte in Stralsund
Artikel aus Mecklenburg-Vorpommern
In Stralsund gehen Wissenschaft, Praxis und Politik neue Wege - bei der Gesundheitskonferenz der Hochschule Stralsund wurde diskutiert, wie regionale Innovationen und Digitalisierung die Gesundheitsversorgung für alle revolutionieren können.
Am 26. November 2025 brachte die Gesundheitskonferenz der Hochschule Stralsund (HOST), initiiert von Prof. Dr. Ivonne Honekamp, Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Gesundheitswesen zusammen. Unter dem Motto "Gesundheitsversorgung für ALLE verbessern" diskutierten sie leidenschaftlich über Digitalisierung, Ressourcenknappheit und gerechte Versorgung in Zeiten des demografischen Wandels. Moderiert von Prof. Dr. Lieven Kennes, diskutierte Manon Austenat-Wied (TK-Landesvertretung MV) zusammen mit Martin Mengel (Zukunftsfeste Pflege e.V.), Prof. Dr. Caroline Bönisch (HOST) und Dr. med. Ronald Zabel (Uhlenhaus Gruppe).
Gesundheitsversorgung für ALLE
Das Grundgesetz garantiert in ihren Artikeln allen Zugang zur Gesundheitsversorgung - ohne Priorisierung nach Alter oder Behinderung, betonte Dr. Zabel gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion. Gesundheitsversorgung für ALLE bedeutete für die Diskutierenden vor allem drei Dinge: Sicherstellung ortsunabhängigen Zugang zur medizinischen Versorgung, die beste Versorgung regional zugänglich machen und Innovationen so zu gestalten, dass gerade jene profitieren, die heute besonders schwer in die Versorgung kommen. Trotz stetig wachsender Ausgaben im Gesundheitswesen und einer steigenden Zahl an Ärztinnen und Ärzten müssen Patientinnen und Patienten oft monatelang auf einen Termin warten. "Es ist kein Geldproblem, sondern ein Prozess- und Strukturproblem", betonte Austenat-Wied. Sie ergänzt: "Steigende Ausgaben für Krankenhäuser und Arzneimittel sowie ineffiziente Abläufe in den Abrechnungssystemen bremsen die Gesundheitsversorgung. Das muss sich ändern, wir brauchen dringend mutige und weitsichtige Reformen."
Digitalisierung als Game-Changer?
Digitale Tools wie Telepflege, Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und KI-basierte Ersteinschätzungen (beispielsweise über die 116-117) könnten Lücken schließen - insbesondere in einem Flächenland, wie Mecklenburg-Vorpommern, wo heute schon jede/r Vierte über 65 Jahre alt ist und 2040 voraussichtlich jede/r Dritte sein wird. Entscheidend ist nach Ansicht der Diskutierenden, "echte" digitale Prozesse zu etablieren - nicht nur Papierprozesse zu elektrifizieren. Eine digitale Ersteinschätzung sollte an möglichst vielen Orten zugänglich sein: in allen Arztpraxen, in den Bereitschaftsdiensten der Kassenärztlichen Vereinigungen, in Notaufnahmen bzw. integrierten Notfallzentren sowie direkt online oder per App über die 116-117. Jeder Behandlungsfall in der Regelversorgung sollte diese Ersteinschätzung durchlaufen, um den richtigen Startpunkt im System zu identifizieren. Daran muss sich nahtlos eine digitale Terminvermittlung anschließen. Damit das funktioniert, sollten Vertragsärztinnen und -ärzte verpflichtet werden, tagesaktuell freie Terminkontingente auf einer digitalen Plattformen einzustellen. Gleichzeitig braucht es klare Vorgaben an Hersteller von Praxisverwaltungssystemen, damit diese Prozesse im Alltag wirklich entlasten und nicht zusätzlich belasten. Hürden wie fehlende Breitbandinfrastruktur, geringe digitale Kompetenz und Bürokratie bleiben dabei zentrale Baustellen. "Wir brauchen mehr Investitionen in Infrastruktur und Schulungen", forderte Bönisch.
Forderung an die Politik
Die Podiumsgäste appellierten einhellig an die Politik: Mut zu Reformen, weniger Bürokratie, bessere und verlässliche Finanzierung. Konkrete Wünsche reichten von interoperablen Daten (statt "Datengräbern") über einfachere Abrechnungsprozesse bis hin zu einem Primärversorgungssystem, das sich nicht ausschließlich an ärztlicher Versorgung orientiert. Mengel plädierte für landesspezifische Pflegefinanzierung und stärkere Einbindung von Pflegeräten und pflegerischer Expertise in die Versorgungsplanung. Gleichzeitig wurde deutlich: Verbandsinteressen und lange Gesetzgebungsprozesse - etwa beim Krankenhausverbesserungsgesetz - bremsen dringend nötige Fortschritte. Die Abschlussbotschaft an die Politik fiel entsprechend klar aus: "Statt allein auf politische Entscheidungen zu warten, braucht es mehr gemeinsame Verantwortung, Gestaltungswillen und konkretes Handeln. Austenat-Wied unterstrich: "Politik und Praxis sollten noch stärker das Fachwissen derjenigen nutzen, die tagtäglich in der Versorgung arbeiten, und passende Rahmenbedingungen schaffen." Ja, es gibt große Reformthemen, für die politische Entscheidungen unverzichtbar sind. Wenn es aber um den Abbau regionaler Versorgungsdefizite, die Weiterentwicklung der Versorgung und die Sicherstellung vor Ort geht, braucht es vor allem eines: mehr Engagement aller Beteiligten im System.
Ausblick: Land in Sicht?
Trotz aller Herausforderungen blickten die Expert:innen mit einem optimistischen Blick nach vorn. Modellprojekte zeigen, dass neue Versorgungsformen machbar sind; Innovationsfonds-Leuchttürme wie TeleDermatologie liefern Inspiration.
"Dialog schafft Lösungen", resümierte Initiatorin Prof. Dr. Ivonne Honekamp - verbunden mit der Hoffnung, dass im nächsten Jahr nicht nur weiter diskutiert, sondern noch mehr umgesetzt wird.
Die Botschaft aus Stralsund: Für eine Gesundheitsversorgung, die wirklich ALLE erreicht, braucht es klare politische Rahmen, mutige digitale Innovationen - und Akteurinnen bzw. Akteure, die Verantwortung übernehmen, bevor Versorgungslücken entstehen.