Zehn Jahre Famulaturförderung: "Ich denke, die Bilanz kann sich sehen lassen"
Interview aus Bayern
Bereits seit 2015 fördern die Stiftung Bayerischer Hausärzteverband und die TK-Landesvertretung Bayern über ein gemeinsames Projekt Medizinstudierende, die sich für eine Famulatur in einer ländlichen Hausarztpraxis in Bayern entscheiden, mit aktuell bis zu 600 Euro. Im Interview zeigt sich der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes Dr. Wolfgang Ritter zufrieden mit der Bilanz.

TK: Welche Ziele verfolgt das Famulaturprojekt?
Dr. Wolfgang Ritter: Wir unterstützen damit Medizinstudierende auf dem Weg in die Allgemeinmedizin. Es geht darum, ihnen die Erfahrung in den Praxen zu ermöglichen und damit das Interesse an der Hausarztmedizin zu wecken - mit dem Ziel, dass sich die Medizinstudierenden für die spätere Tätigkeit in einer hausärztlichen Praxis entscheiden.
TK: Welche Erfolge konnten Sie durch das Famulaturprojekt bereits verzeichnen?
Dr. Ritter: Ich denke, die Bilanz kann sich sehen lassen: Seit 2015 sind über 380 Medizinstudierende bei ihrer Famulatur in einer Hausarztpraxis auf dem Land finanziell unterstützt worden und haben viele positive Erfahrungen mitnehmen können - das zeigen ihre Berichte, die sie uns zukommen lassen. Allein im vergangenen Jahr hat die Stiftung Bayerischer Hausärzteverband 35 Famulaturen über das gemeinsame Förderprojekt mit der TK-Landesvertretung Bayern gefördert.
Dr. Wolfgang Ritter
TK: Wie werden die Standorte für die Famulaturen ausgewählt und welche Kriterien müssen die Famulaturpraxen erfüllen?
Dr. Ritter: Die Studierenden können ihre hausärztlichen Famulaturen grundsätzlich in jeder hausärztlichen Praxis absolvieren. Um die Förderung von Stiftung Bayerischer Hausärzteverband und der TK in Bayern in Anspruch nehmen zu können, sehen die Teilnahmevoraussetzungen vor, dass der Lehrarzt oder die Lehrärztin Mitglied im Bayerischen Hausärzteverband ist und die Praxis an der Hausarztzentrierten Versorgung teilnimmt. Zusätzlich darf die Gemeinde, in der die Famulatur-Praxis liegt, nicht mehr als 10.000 Einwohner haben. Dies ist ein Grenzwert, um von ländlicher Region sprechen zu können.
Die Studierenden erleben die Dankbarkeit der Patientinnen und Patienten und fühlen, wie sinnstiftend es insbesondere auf dem Land ist, hausärztlich tätig zu sein.
TK: Welche Erfahrungen haben bisherige Teilnehmerinnern und Teilnehmer des Projekts gemacht und wie bewerten sie die Qualität der Famulaturen?
Dr. Ritter: Die Resonanz ist durchweg positiv. Das zeigen die ausgefüllten Fragebögen und Erfahrungsberichte, die wir von den Geförderten als Feedback erhalten. Die meisten Medizinstudierenden, die wir mit unseren Förderprogrammen aufs Land gebracht haben, erzählen voller Begeisterung von den Wochen in den Landarztpraxen, von der Vielseitigkeit der Aufgaben, dem praxisorientierten Mentoring und dem besonderen Arzt-Patienten-Verhältnis, das man eben in dieser Form nur in hausärztlichen Praxen erfahren kann.
TK: Welche langfristigen Auswirkungen erwarten Sie durch das Projekt, insbesondere hinsichtlich der Bindung von jungen Ärztinnen und Ärzten an ländliche Regionen?
Dr. Ritter: Die Studierenden erleben die Dankbarkeit der Patientinnen und Patienten und fühlen, wie sinnstiftend es insbesondere auf dem Land ist, hausärztlich tätig zu sein. Wir erhoffen uns, dass die Begeisterung für die hausärztliche Versorgung und die Region, die mit den Famulaturen geweckt wird, anhält und zu einer Entscheidung für den Beruf der Hausärztin oder des Hausarztes dort führt. Dass dieses Konzept oft aufgeht, zeigen die Rückmeldungen: Viele Medizinstudierende, die wir gefördert haben, können sich nach ihrer Famulatur in einer hausärztlichen Praxis eine Weiterbildung Allgemeinmedizin gut vorstellen. Einige haben das bereits in die Tat umgesetzt. In einem Beispiel, an das ich gerade denke, war die Famulatur, gefördert über das gemeinsame Famulaturprojekt mit der TK, der erste Kontakt einer Medizinstudentin mit der Hausarztmedizin. Der hat sie so nachhaltig beeindruckt, dass sie sich für die Allgemeinmedizin entschieden hat und aktuell ihre Weiterbildung in einer Hausarztpraxis auf dem Land absolviert.
TK: Auch beim Personal in den Arztpraxen werden die Lücken immer größer. Was können Hausärztinnen und Hausärzte tun, um ihre Landarztpraxen attraktiv für qualifizierte Fach- und Nachwuchskräfte zu machen?
Dr. Ritter: Kurz gesagt: Mit beruflichen Perspektiven und einem entsprechenden Gehalt lässt sich die Attraktivität des Berufsbilds der MFA steigern - und nur mit MFA zusammen lässt sich eine qualitativ hochwertige ambulante Versorgung langfristig sichern! Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband kümmert sich deshalb um eine kontinuierliche Aufwertung des Berufes der MFA. Zum Beispiel durch Weiterbildungsangebote zur Versorgungsassistent/in (VERAH®), die wir mit dem Institut für hausärztliche Fortbildung anbieten, oder mit der Qualifizierung zur Betrieblichen Assistenz in der Hausarztpraxis (BEAH). Außerdem hat unser Landesverband für seine Mitglieder, die an der HZV teilnehmen, ein VERAH-Förderprogramm aufgelegt.
Eine weitere Maßnahme ist der Studiengang "Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement" (PCM), der an der FOM-Hochschule als berufsbegleitendes Bachelor-Studium für VERAH und NäPa eingerichtet und jetzt erweitert wurde. Sehr gut angenommen wird auch die neue Qualifizierung zur "Kaufmännischen Assistenz in Hausarztpraxen", die unser Verband gemeinsam mit den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft und dem Jobcenter München ins Leben gerufen hat. Die Absolventinnen bringen Entlastung vor allem bei kaufmännischen Themen in der Praxis, können sich allerdings auch beruflich weiterentwickeln.
TK: Wo liegen heutzutage die Schwerpunkte in der hausärztlichen Praxis im Vergleich zu früher?
Dr. Ritter: Die Schwerpunkte liegen weiterhin in der wohnortnahen und niedrigschwelligen Versorgung der Bevölkerung in Bayern. Eine zunehmende Herausforderung bildet jedoch die alternde Bevölkerung, wodurch die Krankheitslast und damit der Bedarf an hausärztlicher Versorgung steigt. Diesem wachsenden Versorgungsdruck müssen wir uns anpassen.
Auch die Praxisstrukturen verändern sich durch die Abnahme der klassischen Einzelpraxis mit Arbeitszeiten von 60 bis 70 Stunden pro Woche zu Teampraxen mit flexiblen Arbeitsmodellen. Mit unserem HÄPPI-Konzept haben wir ein attraktives Angebot, mit dem wir dem demografischen Wandel begegnen und die zukünftige Versorgung unserer Patientinnen und Patienten weiterhin auf hohem Niveau sicherstellen können.
TK: Welche telemedizinischen Lösungen in der Hausarztmedizin werden in Bayern bereits erfolgreich eingesetzt, um Versorgungslücken zu schließen oder Patientengruppen engmaschiger zu versorgen?
Dr. Ritter: Das eine ist das bayernweit flächendeckend in hausärztlichen Praxen die Videosprechstunde angeboten wird. Zusätzlich hat der Bayerische Hausärzteverband mit der PraxisApp "Meine hausärztliche Praxis" einen digitalen Kommunikationskanal zwischen Hausärztin, Hausarzt und Patientin, Patient etabliert. Neben den bereits über diese App nutzbaren Angeboten wie der Videosprechstunde werden auch zukünftig digitale Versorgungsmodule dort integriert werden.
TK: Wie kann die Digitalisierung zukünftig den Hausarzt oder die Hausärztin unterstützen?
Dr. Ritter: Künstliche Intelligenz birgt großes Potenzial, hausärztliche Teams zu entlasten, beispielsweise bei der Praxisorganisation und Terminvermittlung, aber auch bei der Diagnosestellung. Wir können sie zum Beispiel nutzen für die Auswertung von Langzeit-EKG-Aufnahmen oder für die Beurteilung von Hautveränderungen. Aber klar ist auch, dass KI die hausärztliche Versorgung niemals ersetzen kann. Sie ist vielmehr ein Werkzeug, das Empfehlungen formulieren kann und so und Hausärztinnen und Hausärzte mit unseren Teams unterstützt.
TK: Was gefällt Ihnen persönlich am Beruf als Hausarzt?
Dr. Ritter: Das Vertrauensverhältnis, das man als Beziehungsarzt seitens der Patientinnen und Patienten erfährt. Ihre Dankbarkeit und Wertschätzung zu erleben, da sie in ihrem Hausarzt einen verlässlichen Ansprechpartner haben, dem sie vertrauen und der sie bei ihren Gesundheitsfragen begleitet.