Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, erklärt, warum der Zugang zur Gesundheitsversorgung neu gedacht werden muss, welche Möglichkeiten die Digitalisierung dabei bietet und welche Rolle ein Primärversorgungssystem mit mehr Koordination dabei einnehmen kann.

TK: Frau Puttfarcken, wie empfinden die Deutschen den Zugang zur Versorgung?

Maren Puttfarcken: 58 Prozent der Deutschen finden die Wartezeiten für Facharzttermine "viel zu lang", wie eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der TK zeigt. Aber auch in Hausarztpraxen empfindet jeder vierte Befragte die Wartezeit als viel oder etwas zu lang. Und auch für die Hamburgerinnen und Hamburger ist das Thema wichtig: Eine Forsa-Umfrage im Vorfeld der Hamburgischen Bürgerschaftswahl hat gezeigt, dass es für 95 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger ein wichtiges gesundheitspolitisches Thema der kommenden Jahre ist, wie man schneller und einfacher einen Arzttermin bekommt.

Maren Puttfarcken

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Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg

Sinnvoller wäre es, wenn die Steuerung nicht erst in den Hausarztpraxen startet und nicht nur dort stattfindet.  Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg

TK: Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

Puttfarcken: Die ambulante Versorgung ist - auch in Hamburg - in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten. Das hat unterschiedliche Gründe, - etwa den zunehmenden Fachkräftemangel, veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen, andere Vorstellungen zum Verhältnis von Beruf und Freizeit beim Nachwuchs des Gesundheitspersonals, aber auch ein höheres Versorgungsbedürfnis der Patientinnen und Patienten.  Ein weiterer Grund sind die schon erfolgten und noch anstehenden Strukturanpassungen im stationären Sektor, etwa durch die Krankenhausreform. Diese werden sich auch weiterhin auf den ambulanten Sektor auswirken. Wenn künftig mehr Leistungen im ambulanten Sektor erbracht werden sollen, müssen dafür auch die Kapazitäten zur Verfügung stehen. Aus Sicht der TK könnte mehr Koordination der Patientinnen und Patienten die Versorgung verbessern und so auch für schnellere Termine sorgen.

TK: Die Regierung plant ein Primärarztsystem. Kann das die Situation in der ambulanten Versorgung verbessern?

Puttfarcken: Das geplante Primärarztsystem der Regierung sieht vor, dass Patientinnen und Patienten immer zuerst eine Hausarztpraxis bei medizinischen Anlässen aufsuchen und dass diese bei Bedarf zum Facharzt oder zur -ärztin überweist. Sinnvoller wäre es aber, wenn die Steuerung nicht erst in den Hausarztpraxen startet und nicht nur dort stattfindet. Wichtig ist, dass die Koordination schon bei der Suche nach medizinischer Hilfe beginnt und die Behandlung entsprechend bedarfsgerecht erfolgt. Deshalb plädieren wir in der TK für eine Reform des gesamten ambulanten Systems.

Als Erstes sollte eine standardisierte, medizinische Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs eingeführt werden, die bereits vor einem Arztbesuch erfolgt - idealerweise über eine App oder digitale Plattform. Die Ersteinschätzung empfiehlt den weiteren Behandlungspfad. Das kann beispielsweise bedeuten, erst einmal abzuwarten, einen Termin beim Fach- oder Hausarzt zu buchen, eine Videosprechstunde wahrzunehmen oder aber die Notaufnahme aufzusuchen. Neu wäre, dass hier je nach Krankheitsbild auch speziell geschultes medizinisches Fachpersonal und nicht allein Ärztinnen und Ärzte weiterhelfen sollen.

Damit die Patientinnen und Patienten bei Bedarf auch wirklich schnell an einen Termin kommen, sollten Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachgruppen Terminkontingente auf einer digitalen Terminserviceplattform zur Verfügung stellen. Im Ergebnis bekommen wir so die Wartezimmer frei für diejenigen, die tatsächlich einen akuten Behandlungsbedarf vor Ort beim Arzt oder der Ärztin haben.

TK: Was bedeutet das für die diejenigen mit einer Erkältung, die eine Krankschreibung benötigen oder deren Kind kurzfristig erkrankt ist?

Puttfarcken: Nehmen wir das Beispiel Krankschreibung wegen eines Schnupfens oder der "Kindkrank-AU". Bisher muss die Krankschreibung in der Haus- oder Kinderarztpraxis angefragt und abgeholt werden. In der Erkältungssaison sind die Wartezimmer aber meist voll: Man hat neben dem Fahrtweg zur Arztpraxis zusätzlich lange Wartezeiten und geht danach noch zur Apotheke, um das Rezept für den Kinderhustensaft einzulösen. Das Ziel sollte es jedoch sein, die Behandlung auf das Wesentliche einzudampfen. Das bedeutet: Krankschreibung und Rezept von Zuhause aus. Diese Möglichkeit bieten wir TK-Versicherten bereits jetzt mit der TK-Doc-App.

Über die App können TK-Versicherte online einen Termin für die TK-OnlineSprechstunde buchen. Nach der digitalen Anamnese startet die Videosprechstunde für das Kind.  Im Anschluss erhalten die Versicherten die elektronische AU und - wenn nötig - auch ein E-Rezept. Davon profitieren letzten Ende alle Seiten: Für die Eltern entfallen Wartezeiten und Fahrtwege, das Kind kann sich zu Hause auskurieren, und auch die Arztpraxen werden entlastet. Eine echte Win-Win-Situation!