Viele Mitarbeitende in der Akutmedizin fühlen sich in diesen emotional sehr herausfordernden Situationen überfordert und ohnmächtig. Deshalb hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit seiner Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie das Projekt "Stress- und Traumaprävention" ins Leben gerufen. Es ist eines von vier ausgewählten Entwicklungsprojekten des "UKE Inside", die seit 2019 aus dem Gesundheitsmanagement der Techniker Krankenkasse (TK) unterstützt werden. Nun wird es bis Ende Juli 2025 verlängert.

Wie das Projekt UKE-Beschäftigte im klinischen Bereich dabei unterstützt, mit belastenden Arbeitssituationen umzugehen, und welche Erfahrungen bisher gesammelt wurden, erklären Michael van Loo, Leiter des Geschäftsbereichs Personal am UKE, und Thomas Holm aus dem Gesundheitsmanagement der TK im Interview.

TK: Herr Holm, warum ist die Vorbeugung von Stress und psychischer Belastung im Pflegeberuf aus Sicht der TK wichtig?

Thomas Holm: Seit Jahren sehen wir, dass Pflegekräfte in Hamburg - aber auch bundesweit - im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gesundheitlich besonders belastet sind. Eine Sonderauswertung aus dem TK-Gesundheitsreport 2022 zeigt: Hamburger Pflegekräfte, die bei uns versichert sind, waren 2021 im Schnitt rund 23,2 Tage krankgeschrieben. Das waren rund neun Tage mehr als TK-Versicherte, die nicht in einem Pflegeberuf arbeiten (14,1 Tage)! Aus einer Sonderauswertung des Gesundheitsreports von 2019 wissen wir, dass für die überdurchschnittlich hohen Fehlzeiten in der Pflege vor allem psychische und körperliche Belastungen verantwortlich sind. Ein Grund hierfür könnte die hohe Arbeitsdichte sein: Die Anzahl der zu betreuenden Patientinnen und Patienten ist kontinuierlich gewachsen - und der Umgang mit ihnen wird vermehrt rauer; es kommt häufiger zu An- und Übergriffen. Umso wichtiger ist es, dass das UKE dieses Problem erkannt hat. Ich freue mich, dass wir als TK seit 2019 gemeinsam mit dem UKE dieses Leuchtturmprojekt haben, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UKE dabei unterstützt, mit sehr belastenden Arbeitssituationen umzugehen und ihre psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten. 

Thomas Holm

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Gesundheitsmanagement der Techniker Krankenkasse (TK)

TK: Und wie unterstützt das Projekt Pflegekräfte und Mitarbeitende im klinischen Bereich konkret dabei, mit belastenden Arbeitssituationen besser umzugehen?

Michael van Loo: Das von unseren Expertinnen und Experten aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie geleitete Projekt verfolgt vor allem zwei Ziele: Einerseits führen wir Fortbildungen zu den Folgen psychisch stark belastender Arbeitssituationen durch und lernen, wie damit konstruktiv umgegangen werden kann. Zu wissen, wie chronischer und extremer Stress entsteht, und dafür zu sensibilisieren, kann in der jeweiligen Situation helfen. Dieses Wissen wird auch bereits im Rahmen der Ausbildung - ein weiteres von der TK unterstütztes Projekt - vermittelt und wirkt präventiv. 
Andererseits ist es uns wichtig, unsere Beschäftigten nach besonders belastenden Arbeitssituationen zeitnah, niedrigschwellig und fachgerecht zu unterstützen. Dafür haben wir eine Ausbildung und Begleitung von kollegialen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern, sogenannten Peer-Beratenden, für Gespräche nach besonders belastenden Arbeitssituationen entwickelt und etabliert. Mittlerweile haben wir insgesamt 79 Peer-Beraterinnen und -Berater ausgebildet. 

Es ist uns wichtig, unsere Beschäftigten nach besonders belastenden Arbeitssituationen zeitnah, niedrigschwellig und fachgerecht zu unterstützen. Dafür haben wir eine Ausbildung und Begleitung von sogenannten Peer-Beratenden entwickelt. Michael van Loo, Leiter Geschäftsbereich Personal, UKE


Michael van Loo

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Leiter Geschäftsbereich Personal am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE).

Holm: Der Prozess, der hier entwickelt wird, ist wegweisend: Im besonders fordernden Bereich der Akutmedizin werden betriebseigene Multiplikatorinnen und Multiplikatoren qualifiziert und etabliert. Die kollegialen Peer-Beraterinnen und -Berater stehen für alle Pflegekräfte und Beschäftigen im klinischen Bereich bereit, wenn diese besonders schwere emotionale Belastungen erleben. Das geschieht auch vorbeugend. Im Laufe des Projekts haben sich auch Ärztinnen und Ärzte als sogenannte Peers weiterbilden lassen - das verändert die Kultur des Miteinanders. Künftig können auch Azubis als sogenannte Peers ausgebildet werden - ein wichtiger Baustein für die Fortführung des Projekts. Ich werde von anderen Kliniken gefragt, ob man das nachahmen kann. Man kann - man sollte!

Im Laufe des Projekts haben sich auch Ärztinnen und Ärzte als sogenannte Peers weiterbilden lassen - das verändert die Kultur des Miteinanders. Thomas Holm, TK-Gesundheitsmanagement

TK: Herr van Loo, welche Erfahrungen konnten Sie bisher im Projekt sammeln und wie geht es weiter?

van Loo: Wir haben im Projektverlauf bislang sehr positive Rückmeldungen bekommen, aber auch gemerkt, dass sich ein Kulturwandel - wie wir ihn mit dem Projekt angestoßen haben - nicht von heute auf morgen vollziehen lässt. Dafür brauchen wir viel Geduld und Zeit. Eine Befragung unserer Beschäftigten aller klinischen Bereiche zeigt aber, dass wir mit unserem Projekt zur Stress- und Traumaprävention genau den Kern treffen. Über 90 Prozent der Teilnehmenden, also beinahe jede oder jeder Teilnehmende im klinischen Bereich, erlebt im Verlauf eines Jahres mindestens ein außergewöhnlich belastendes Ereignis im Berufsalltag, zum Beispiel außergewöhnliche Notfälle oder gewalttätige Übergriffe. Gefragt wurde auch, wie oft sie solche Situationen erleben: Die Antworten reichten von einmal bis mehr als 25-mal im Jahr! In den akut- und intensivmedizinischen Bereichen, der Onkologie sowie der Geburtshilfe und der Kinder- und Jugendmedizin liegen die angegebenen Häufigkeiten außerordentlich belastender Arbeitsereignisse dabei zum Teil sogar deutlich über dem Durchschnitt. Mehr als ein Drittel der Teilnehmenden gab an, von solchen Ereignissen in ihrem Wohlbefinden ziemlich (27,8 Prozent) oder sehr (9,7 Prozent) beeinträchtigt zu sein. Die Befragung zeigte auch: Mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden schätzen die Angebote des Arbeitgebers, um mit diesen Belastungen gut umgehen zu können, als sehr (62,7 Prozent) oder ziemlich (21,9 Prozent) wichtig ein. Deshalb freuen wir uns, dass wir das Projekt zur Stress- und Traumaprävention mit Unterstützung der TK bis Ende Juli 2025 fortführen und weitere Bausteine - wie die Weiterbildung von Azubis zu Peer-Beratenden - erproben können. 

Hintergrund

Ein weiteres Entwicklungsprojekt des UKE im Rahmen von "INside HR", " Arbeiten 5.0 ", sorgt mit flexiblen Arbeitszeitmodellen für eine bessere Work-Life-Balance von Pflegekräften am UKE. 

Einen Überblick über aktuelle Hamburger Projekte und Angebote der TK im Bereich Pflege werden auf der Themenseite " Gut gepflegt in Hamburg " zusammengefasst.