Sören Schmidt-Bodenstein: In den Medien liest man immer häufiger von Gewalt - insbesondere gegen medizinisches Personal. Wie erleben Sie das denn bei sich in der Klinik? 

Dr. Katharina Kolbe: Unsere internen Umfragen und auch Vorfälle bestätigen den Eindruck einer zunehmenden Gewalt. Zum Beispiel gab es einen Messerangriff, bei dem zwei Mitarbeitende teilweise schwer verletzt wurden. Gewalt ist allerdings ein weiter Begriff. Die meisten Menschen haben als allererstes schwere körperliche Angriffe im Kopf. Unsere Umfrage und Eindrücke zeigen, dass es eher um verbale und sexualisierte Gewalt geht. Körperliche Gewalt findet zum Glück deutlich seltener statt. 

#Segel­Set­zen: Inter­view mit Dr. Katha­rina Kolbe

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Schmidt-Bodenstein: Um dem Thema Gewalt zu begegnen, setzen Sie ein TK-gefördertes Projekt am WKK um. Worum geht es hier konkret? 

Dr. Kolbe: Ein Schutzkonzept ist nichts Neues und wird beispielsweise schon in Kitas und Schulen angewendet. Auch unsere Kinderklinik hat bereits ein Konzept. Es geht uns vor allem darum, zu analysieren, wo Konfliktpotenzial oder Risiken für Gewalt bestehen. Darauf aufbauend werden Präventionsmaßnahmen entwickelt und umgesetzt. Gleichzeitig wird überlegt, wie im Fall von Gewalt gehandelt wird, wie Betroffene begleitet werden können und was aus den Vorfällen gelernt werden kann. 

Bei uns in der Geriatrie haben wir ein Team aus fast allen Berufsgruppen gebildet, etwa zehn bis zwölf Personen. Gemeinsam haben wir geschaut, welche Risiken es für Gewalt gibt und wo wir schon gute Strukturen in der Klinik haben, also eine sogenannte Risiko- und Ressourcenanalyse. Dabei sind wir auf das PEKo-Projekt gestoßen, das von der TK unterstützt wird. Wir haben bewährte Bausteine daraus übernommen sowie Expertinnen und Experten eingeladen, die uns beraten und Vorträge halten. Konkret ging es zum Beispiel darum, wie wir die Entstehung und Eskalation von Gewalt eindämmen können, aber auch darum, wie wir handeln, wenn Gewalt bereits passiert ist - also wer angesprochen werden kann und wie wir alle Mitarbeitenden mit ins Boot holen.

Wichtig ist für uns, dass alle Mitarbeitenden gut geschult sind - besonders im Umgang mit Patientinnen und Patienten, die kognitive Einschränkungen wie Demenz haben, weil hier oft Konflikte entstehen. Ein konkretes Beispiel ist unser Rollentauschtag: Die Mitarbeitenden schlüpfen für eine halbe Stunde in die Rolle der Pflegebedürftigen, etwa durch einen Rollstuhlparcours mit eingeschränkter Sicht. Das schafft Verständnis dafür, wie es sich anfühlt, abhängig zu sein, und fördert den Zusammenhalt im Team. Wenn ich meine Chefärztin im Rollstuhl durch den Parcours fahre, lacht man natürlich auch und das macht ein ganz anderes Miteinander.  

Schmidt-Bodenstein: Wenn wir in fünf Jahren über das Thema sprechen, was würden Sie sich dann wünschen?  

Dr. Kolbe: Ich hoffe, dass sich alle Organisationen, die eng mit Menschen arbeiten, mit den bestehenden Risiken auseinandersetzen und offen über Konfliktsituationen sprechen. Entscheidend ist dabei eine Kultur, in der Fehler ohne Schuldzuweisungen reflektiert werden und in der Verständnis, Empathie und Akzeptanz gefördert werden, um Konflikte zu verhindern oder zu entschärfen. 

Was mir die Menschen immer wieder sagen, ist, dass sie niederschwellige Ansprechstellen brauchen. Zwar gibt es manchmal Präventionsbeauftragte, doch diese sind oft mehrere Hierarchiestufen entfernt - und genau das schreckt ab, wenn es ein Problem gibt. Besonders bei sexualisierter Gewalt, die mit Scham und Hilflosigkeit verbunden ist, wenden sich Betroffene selten an ihre Vorgesetzten.

Wichtig ist außerdem, dass es bei körperlicher oder sexualisierter Gewalt klare Konsequenzen gibt und die Opfer ernst genommen werden. 

Schmidt-Bodenstein: Was sind jetzt die nächsten konkreten Schritte im Projekt?  

Dr. Kolbe: Wir sind an einem spannenden Punkt angekommen. Nach intensiven Gesprächen und einer ausführlichen Mitarbeitenden-Umfrage starten wir jetzt mit der Umsetzung. Dabei geht es vor allem darum, konkrete Lösungen für Alltagssituationen zu finden: Zum Beispiel, an wen sich eine Pflegekraft im Nachtdienst wenden kann, wenn es zu einer Gewaltsituation mit einem kognitiv eingeschränkten, vielleicht sogar aggressiven, Patienten kommt.  Diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten, da bestehende Strukturen verändert werden müssen. 

Ein weiterer wichtiger Schritt ist, auch Patientinnen, Patienten und deren Angehörige in die Entwicklung einzubeziehen. Das ist aber schwierig, denn man kann ihnen keine umfangreichen Fragebögen zumuten - viele haben Kommunikations- oder kognitive Einschränkungen. Deshalb suchen wir Wege, wie sie trotzdem mitreden und ihre Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden können. 

Weitere Informationen

Zur Person: Dr. Katharina Kolbe ist Assistenzärztin in der Klinik für Frührehabilitation und Geriatrie am Westküstenklinikum Heide. Seit anderthalb Jahren leitet sie dort das Projekt zum Schutz vor (sexualisierter) Gewalt, das von der Techniker Krankenkasse gefördert wird.  

Zum Projekt: Die TK unterstützt Einrichtungen dabei, gesundheitsfördernde Strukturen zu etablieren. Präventive Maßnahmen stärken dabei die Gesundheit der Mitarbeitenden und fördern Eigenständigkeit und Wohlbefinden der Pflegebedürftigen. Interessierte Pflegeeinrichtungen berät die Techniker bei der Initiierung individueller, auf Ihre Bedürfnisse abgestimmter Projekte zum Gesundheitsmanagement.

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