Bereits seit rund einem Jahr steht das Ringen um die Krankenhausreform im Mittelpunkt der gesundheitspolitischen Debatte. Auch das bayerische Gesundheitsministerium beteiligte sich intensiv an der Ausgestaltung der Reform.

Kaum jemand zweifelt daran, dass unser stationäres Versorgungssystem reformiert werden muss. Schon der Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung, unter denen auch viele bayerische Kur- und Rehabilitationseinrichtungen leiden, erfordern eine umfassende Veränderung. Die derzeitigen Strukturen der rund 1.900 Kliniken bundesweit, davon etwa 350 in Bayern, sind historisch gewachsen und entsprechen nicht mehr dem aktuellen Bedarf. Auch immer größere Personallücken in den medizinischen Einrichtungen erhöhen den Druck auf die Politik für Veränderungen.

Chris­tian Bredl

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Leiter der TK-Landesvertretung Bayern

Auf Eckpunkte der Krankenhausreform geeinigt - Gesetzesentwurf steht noch aus

Selbstverständlich geht es in den Debatten um den richtigen zukünftigen Weg der stationären Versorgung manchmal hoch her. Bei unterschiedlichen Interessenslagen in 16 Bundesländern und einem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der angetreten ist, um die Klinikqualität nachhaltig zu verbessern, ist dies unvermeidbar.

Doch genau das ist ein Wesen einer lebendigen und funktionierenden Demokratie: Durch den respektvollen Austausch von Argumenten, um das beste Ergebnis für die Menschen im Land zu ringen - das geht nun mal nicht lautlos vonstatten. Insbesondere in Zeiten, die mit Wahlkämpfen in wichtigen Bundesländern wie Hessen oder Bayern einhergehen.

Nach einer langen Phase des Ringens einigten sich Mitte des Jahres mit großer Mehrheit Bund und Länder auf ein Eckpunktepapier. 14 von 16 Bundesländern stimmten zu, eines enthielt sich und nur Bayern war dagegen. Das Eckpunktepapier ist jedoch nur der erste Schritt. Entscheidend wird jetzt die Konkretisierung im Gesetzesentwurf sein, der noch aussteht. Die geplante Reform darf hierbei nicht durch weitere Kompromisse und immer mehr Forderungen aus den Ländern aufgeweicht werden. Ein halbherziges Gesetz würde die Qualität in der Krankenhausversorgung nicht verbessern. Das würde den Patientinnen und Patienten kaum nutzen.

Künftig wären mit bundesweit einheitlichen Leistungsgruppen präzisere Qualitätsvorgaben als bisher möglich. Zusammen mit verlässlichen Qualitätsprüfungen und den neu geplanten Vorhaltekosten, die den Mengendruck auf die Krankenhäuser reduzieren, könnte das die stationäre Versorgung verbessern.

Ein zentrales Ziel der Reform ist es, die Menschen in Zukunft grundsätzlich dort zu behandeln, wo sowohl die entsprechende Erfahrung als auch die optimale Ausstattung vorliegen. Spezialisierung und Arbeitsteilung spielen für die Qualität der Behandlung eine entscheidende Rolle. Hier appelliere ich an alle Beteiligten, die Reformziele wie mehr Qualität bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten sowie eine zeitgemäße, bedarfsgerechte Krankenhauslandschaft stets im Blick zu behalten. Das wäre auch ein großer Vorteil für die Menschen in einem Flächenstaat wie Bayern.

Demografische Lücke immer größer - Reform muss nachhaltig erfolgreich sein

Die neu in den Arbeitsmarkt eintretenden jungen Menschen kompensieren bei Weitem nicht die Zahl der aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Arbeitskräfte. Die qualifizierte Zuwanderung kann hier nur teilweise Entlastung bringen. Auch Rehabilitationseinrichtungen stemmen sich mit großem Einsatz gegen die demografische Entwicklung. Durch Reha-Maßnahmen, die die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten stärken oder wiederherstellen, kehren bundesweit jedes Jahr etwa 150.000 Menschen ins Erwerbsleben zurück. Dennoch wird Jahr für Jahr die demografische Lücke größer. Hiervon sind die Bereiche der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege besonders betroffen. Deshalb muss das geplante Reformvorhaben nachhaltigen Erfolg bringen.

Ich bin mir sicher, dass nicht nur im neuen Jahr, sondern auch in den darauffolgenden Jahren die Umsetzung der Klinikreform einer der zentralen Punkte der gesundheitspolitischen Agenda sein wird. 

Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel innerhalb von fünf Jahren verdoppelt

Ebenfalls im Fokus der gesundheitspolitischen Debatten werden in den folgenden Jahren die steigenden Preise für neue Arzneimittel sein. Diese sind inzwischen ein ernstes Problem für unser Gesundheitssystem.

Immer mehr hochpreisige Arzneimittel wie teure Gentherapien, die pro Dosis Millionen Euro kosten, drängen auf den Markt. Natürlich sollen Patientinnen und Patienten die Therapien bekommen, die sie benötigen. Doch der Zugang wäre für alle betroffenen gesetzlich Versicherten bei der aktuellen Preisentwicklung nicht mehr finanzierbar. Der breite Einsatz dieser Mittel, ohne dass sich an der Preisbildung etwas ändert, würde unser Gesundheitssystem überfordern.

So haben sich beispielsweise die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für neue und damit patentgeschützte Arzneimittel innerhalb der vergangenen fünf Jahre fast verdoppelt. Lagen die GKV-Bruttoausgaben für patentgeschützte Arzneimittel im Jahr 2018 noch bei 14,6 Milliarden Euro, so waren es vergangenes Jahr rund 28 Milliarden Euro. Das entspricht inzwischen knapp die Hälfte der Arzneimittelausgaben insgesamt, obwohl die neuen Medikamente nur sechs Prozent des Gesamtverbrauchs ausmachen.

Marktstrategien zu Scheininnovationen sollte die Politik unterbinden

Dabei ist klar: Die Industrie soll natürlich mit der Entwicklung von neuen Arzneimitteln Geld verdienen. Doch die Preise sollten fair sein. Einige Pharmafirmen ziehen mit patentgeschützten Arzneimitteln Geld beziehungsweise Gewinne aus unserem Gesundheitssystem, die gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel sind. Generell gilt, dass die Hersteller dieser neuen Arzneimittel zunächst die Preise frei festsetzen können. Die Grundlagen für die hohen Preise sind jedoch völlig intransparent. Realkosten, wie Ausgaben für Herstellung, Vertrieb und Forschung für diese Arzneimittel spielen bei der Preisfindung keine Rolle.

Viel Geld muss die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten deshalb auch für angebliche Arzneimittelinnovationen zahlen, die bei genauer Betrachtung Scheininnovationen sind. Dies zeigt der Report "Arzneimittel-Fokus - Pillen, Preise und Patente" , den die TK gemeinsam mit der aQua - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH (aQua-Institut) im Mai dieses Jahres veröffentlicht hat.

Dort werden Marktstrategien beschrieben wie das sogenannte Evergreening, bei dem durch geringfügige Änderungen die Patentdauer eines Arzneimittels verlängert wird. Ebenfalls hohe Preissteigerungen erzielt die Pharmaindustrie, wenn ein Medikament, das für die Behandlung einer Krankheit zugelassen ist, vom Markt genommen wird, um es dann für eine andere Indikation mit einem Vielfachen des ursprünglichen Preises wieder auf den Markt zu bringen. Diese und weitere Strategien sind zweifelsfrei legal, sollten aber in einem solidarisch finanzierten System nicht möglich sein. Es fehlt sonst künftig das Geld für tatsächliche Innovationen, die die Versorgung der betroffenen Menschen nachhaltig verbessern könnten.

Von überschätztem Drohpotenzial nicht ins Bockshorn jagen lassen

Begleitet wird die Einführung neuer Arzneimittel oft mit Drohkulissen in Richtung Politik. Sollten die hohen Preise der neuen Medikamente nicht möglich sein, würden diese dem deutschen Markt nicht zur Verfügung stehen und der Forschungsstandort Deutschland werde geschwächt. Dieses aus meiner Sicht überschätzte Drohpotenzial, verleitet viele Politikerinnen und Politiker dazu, nicht aktiv mit Argumenten dagegenzuhalten. Deutschland hat bereits im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich hohe Arzneimittelpreise. Der Markt ist attraktiv, weil die neuen Medikamente über die gesetzliche Krankenversicherung ab Markteintritt sofort bezahlt werden. Wohl kaum ein Pharmazieunternehmen wird auf diesen attraktiven Markt verzichten wollen.

Das Problem bei den sehr hohen Einführungspreisen ist, dass sie die Ausgangssituation für die anschließenden Verhandlungen darstellen. Die verhandelten Preise haben dann wiederum Auswirkungen auf die Preise der nachfolgenden neuen Medikamente. So entsteht eine Spirale immer höherer Preise. Diese Preise lenken die Entwicklung neuer Medikamente. Stattdessen müsste es jedoch das gemeinsame Ziel von Pharmafirmen, Krankenkassen und Politik sein, dass die Medikamente, die den Patientinnen und Patienten am meisten nützen, erforscht und produziert werden und nicht die Medikamente, die den höchsten Gewinn für die Pharmafirmen versprechen.

Wieder mehr Dynamik durch die Digitalisierungsgesetze

Das Gute vorweg: Das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, die beide wohl Mitte Dezember im Bundestag verabschiedet werden, bringen wieder Schwung auf dem Weg zum  digitalen Gesundheitswesen .

So kann durch die gesetzlichen Regelungen nun endlich die E-Rezept-App in die Apps der Krankenkassen integriert werden, die viele Versicherte bereits auf ihrem Smartphone haben. Wirklich digital ist ein Rezept jedoch erst, wenn Versicherte keinen ausgedruckten QR-Code mehr benötigen und das Rezept auch unabhängig von der elektronischen Gesundheitskarte funktioniert. Komfortabel und von den meisten Menschen akzeptiert wird das E-Rezept erst, wenn es auch unabhängig davon funktioniert. Die Einlösung per App ist der einzige volldigitale Weg. Hieran - und das ist nun die weniger gute Nachricht - sieht man, wie weit Deutschland gegenüber anderen europäischen Nachbarländern inzwischen zurückliegt. In Dänemark oder Schweden sind 99 Prozent der Verschreibungen E-Rezepte, in Belgien und Finnland sogar 100 Prozent. Auch in Österreich werden inzwischen neun von zehn Rezepten elektronisch ausgestellt.

Gleiches gilt für die elektronischen Patientenakte, kurz ePA, die nur ein Erfolg werden kann, wenn sich dort die relevanten Daten befinden. Nur so bringt die ePA allen einen erkennbaren Nutzen. Es führt also kein Weg daran vorbei, dass Arztpraxen dazu verpflichtet werden, die Daten für Patientinnen und Patienten einzuspielen. Ebenso muss das Einloggen in die ePA vereinfacht werden. Wir alle sind es bei vielen anderen Apps gewohnt, die Identifikation per Gesichtsscan oder Fingerabdruck durchzuführen. Das muss auch bei der ePA möglich sein. Seine volle Wirkung kann die ePA entfalten, wenn Ärztinnen und Ärzte die Akte schnell und komfortabel befüllen können. Das ist die Aufgabe der Softwarehersteller im kommenden Jahr, die ePA so zu integrieren, dass sie sich nahtlos in die Praxisabläufe einfügt.

Lernen von anderen Ländern und den Digitalisierungsabstand verkürzen

Wie es funktionieren kann, machen uns Länder wie Belgien, Dänemark, Finnland, Schweden oder Spanien seit Jahren vor. Wir sollten davon lernen und so schnell wie möglich ePA und E-Rezepte in unseren Alltag integrieren, damit der Abstand zu diesen Ländern bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht noch größer wird.