Fachkräftemangel in fast allen Versorgungsbereichen der Gesundheit, weltweit angespannte Versorgungslage auch bei medizinisch dringend benötigten Gütern und eine Mehrzahl der Kliniken, die mit finanziellen Defiziten kämpfen müssen - das ist die Lage nach rund drei Jahren Corona-Pandemie. Hinzu kommen noch eine knappe und teure Energieversorgung sowie seit Monaten eine hohe Inflation. Für viele betroffene Institutionen im Gesundheitswesen stellt sich die Frage, wie sie sich künftig für Krisen besser wappnen können.

Chris­tian Bredl

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Leiter der TK-Landesvertretung Bayern

Lerneffekte aus der Corona-Krise

Bei Corona scheint nach rund drei Jahren wohl das Schlimmste überstanden zu sein. Unser Gesundheitssystem bewies hier seine Leistungsfähigkeit. Die schnelle Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes, ein gutes ambulantes Versorgungsnetz und Intensivstationen in Kliniken, die schnell medizinische und personelle Ressourcen aktivieren konnten, sorgten dafür, dass Deutschland besser als die meisten anderen Nationen durch die Pandemie kam - und das trotz vieler hausgemachter Probleme. 

Ein meist föderal bedingtes widersprechendes Durcheinander bei der Kommunikation zum Impfen und bei den Coronaregeln in den Bundesländern, erschwerte unnötig die Lage. Auch Bayern wich hier öfters von bundesweiten Vereinbarungen ab. Hinzu kamen noch überteuerte Beschaffungen beispielsweise von Mund-Nasen-Masken oder hohe Preise bei Coronatests, die manchmal eine Goldgräberstimmung zulasten der Reserven im Gesundheitswesen auslösten. 

Wenn wir im Gesundheitswesen aus diesen Problemen lernen und eine gute, gemeinsame Kommunikationsstrategie von Bund und Ländern sowie vernünftige und angemessene Vergütungsregelungen entwickeln, können wir uns in diesem Bereich auf künftige Krisen besser vorbereiten. 

Verschwendung im Gesundheitssystem nachhaltig reduzieren 

Die Verschwendung im Gesundheitssystem muss ebenfalls nachhaltig reduziert werden. So gibt es immer noch zu viele Anreize für medizinisch nicht notwendige Mehrfach- und Doppelbehandlungen. Außerdem muss der Bund seiner Pflicht nachkommen, die Krankenversicherungsbeiträge für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II vollständig zu übernehmen. Im Rot-Grün-Gelben-Koalitionsvertrag wurde zumindest eine höhere Kostenbeteiligung versprochen, die bisher nicht umgesetzt wurde. Aktuell geben die gesetzlichen Kassen für Beziehende von Arbeitslosengeld II rund dreimal so viel aus, wie sie vom Staat erhalten. Einfach nur die beitragszahlenden gesetzlich Versicherten und deren Arbeitgeber heranzuziehen, ist vielleicht die einfachere Lösung, aber äußerst unfair. Privatversicherte beteiligen sich hier kaum und sind fein raus.

Mit kaum mehr vorhandenen finanziellen Reserven lassen sich künftige Krisen nicht bewältigen. Damit nicht bei jeder unvorhergesehenen Situation Beitragsanpassungen notwendig werden, müssen die politisch Verantwortlichen dafür sorgen, dass die gesetzlichen Kassen auch in Zukunft ihre Haushalte solide und nachhaltig planen können. 

Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück bei der Digitalisierung 

Große Probleme verursacht der mangelnde Fortschritt bei der Digitalisierung in unserem Gesundheitswesen. Auch nach drei Corona-Jahren ist die Datenlage in Deutschland immer noch lückenhaft. Andere Wirtschaftsnationen sind hier deutlich besser aufgestellt. 

Mehr als ernüchternd ist der aktuelle Stand beim E-Rezept. Es könnte ein wichtiger Teil der digital unterstützten Versorgung sein. Aber solange die E-Rezept-App der gematik, die kaum ein Patient oder eine Patientin kennt, der einzige digitale Weg für E-Rezepte bleibt, ist das Potenzial für Fortschritte begrenzt.

Die Krankenkassen sind hier schon viel weiter. Millionen Versicherte in Deutschland nutzen die Apps ihrer Kasse. Das wäre der richtige Zugang für das E-Rezept. Die Kundinnen und Kunden würden in kurzer Zeit die Vorteile der Digitalisierung für ihre medizinische Versorgung erkennen. In Kombination mit einer gut funktionierenden elektronischen Patientenakte ergäbe sich hier eine enorme Digitalisierungsdynamik. Die TK ist hier gut aufgestellt. Damit das auch künftig so bleibt, müssen wir konsequent den seit Jahren eingeschlagen Weg weitergehen, digitale Angebote verstärkt für die Versorgung der Menschen zu nutzen.

E-Rezept: Nutzer­po­ten­tial

TK-Infografik zum elektronische Rezept. Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Von den TK-Versicherten könnten über 46 Prozent das E-Rezept via TK-App nutzen. 

Unser Land kann es sich jedoch nicht mehr leisten, bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen zwei Schritte vor und einen Schritt zurückzugehen. Machen wir weiter so in diesem Tempo, hängen uns viele andere Nationen ab. Deutschland verliert im internationalen Vergleich dann seinen guten Standard bei der Gesundheitsversorgung.

Schwierigkeiten bei der stationären Versorgung erkannt 

Das gilt nach wie vor auch für den größten Kostenblock in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die stationäre Versorgung. Unsere Krankenhauslandschaft ist teuer, die Versorgung der Patientinnen und Patienten nicht optimal. 

Bei der Investitionsfinanzierung der Kliniken, für die die Bundesländer zuständig sind, wird die Lücke immer größer. Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft ist derzeit der Investitionsbedarf etwa doppelt so hoch wie die finanziellen Mittel, die derzeit von den Bundesländern zur Verfügung gestellt werden. Auch Bayern hat hier seine Hausaufgaben nicht gemacht. Trotz Erhöhung der Förderung sanken gegenüber 1991 unter Berücksichtigung der Inflation die Investitionsleistungen im Freistaat um 40 Prozent.

Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung

TK-Infografik zur Investitionsquote der Länder für die Krankenhausfinanzierung seit 1991. Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Der Investitionsanteil der Bundesländer für die Krankenhausfinanzierung geht weiter zurück.

Hinzu kommt die Überlastung der Beschäftigten in den Kliniken und die damit einhergehenden Personalengpässe. Junge Menschen können wir so nicht überzeugen, sich für einen pflegerischen Beruf zu entscheiden. Fehlen bereits jetzt schon mehrere Zehntausende Fach- und Pflegekräfte im Gesundheitswesen, kommt durch die demografische Entwicklung zusätzlicher Druck hinzu. Jeder dritte Beschäftigte in den Krankenhäusern ist über 50 Jahre alt. Die Zeit drängt. 

Wir brauchen endlich eine übergreifende Krankenhausplanung. Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger verteilen sich bisher auf zu viele Krankenbetten. Das führt zu deutlicher Überlastung der Pflegekräfte und macht den Beruf immer unattraktiver. Hinzu kommt, dass Patientinnen und Patienten oft nicht an spezialisierten Zentren behandelt werden. Damit sinkt auch die Qualität der Behandlung. 

Krankenhäuser, die Notfälle versorgen und eine ambulant-stationäre Basisversorgung sicherstellen, sollten die Grundversorgung überall in der Fläche gewährleisten. Das bedeutet auch eine bessere Vernetzung mit dem Grundsatz ambulant vor stationär und wo es möglich ist, digital vor ambulant vor stationär. Schwere und komplexe Erkrankungen sollten in spezialisierten Zentren, routiniert und mit hoher Qualität, behandelt werden. Diese Maßnahmen würden auch das Personal in den Kliniken und in den weiteren Gesundheitseinrichtungen entlasten und den Pflegeberuf wieder attraktiver werden lassen. 

Doch bislang bleibt die große Reform aus. Die vor Kurzem auf den Weg gebrachten Einzelmaßnahmen wie das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz werden die Probleme im Pflegebereich nicht lösen. Im Gegenteil: Statt neuer Kolleginnen und Kollegen wird die geplante Pflegepersonalbemessung 2.0 den Pflegekräften jede Menge zusätzlichen Aufwand an Bürokratie bescheren. Zur Personalbemessung gibt es längst eine gesetzliche, von allen Seiten akzeptierte Lösung. Die gemeinsame Selbstverwaltung hatte bereits begonnen, diese umzusetzen. Das wird nun durch Aktionismus ausgebremst, während andere, sinnvolle Reformen weiter warten müssen. 

Abstimmungsgespräche der Krankenhauskommission gestartet

Das Bundesgesundheitsministerium ist sich mit den Bundesländern einig, möglichst zügig eine umfassende Krankenhausreform durchzuführen. Die Empfehlungen der 17-köpfigen "Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung", kurz Krankenhauskommission, sind derzeit die Diskussionsgrundlage. Bis Juni dieses Jahres sollen auf Ebene der Bund-Länder-Gruppe für die Krankenhausreform Abstimmungsgespräche stattfinden. Ziel ist eine Einigung vor der Sommerpause, sodass ein Gesetzesentwurf im Parlament eingebracht werden kann. Die Krankenhausreform soll am 1. Januar 2024 in Kraft treten. 

Auf nachhaltige Reformen der Krankenhausstruktur haben wir - und vor allem die Pflegekräfte - schon viel zu lange gewartet. Der angedachte Zeitplan muss eingehalten werden. Scheitert die Reform, werden künftige Krisen, die auf das Gesundheitswesen zukommen, kaum mehr beherrschbar sein.