TK: Mit dem "Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens" (DigiG), dem "Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (GDNG)" und den Bemühungen zur Reform des Krankenhauswesens stehen drei große Vorhaben auf Bundesebene in den Startlöchern. Wie prognostizieren Sie die Effekte dieser Gesetze auf die medizinische Betreuung im Nordosten? 

Manon Austenat-Wied: Die drei genannten Gesetze bzw. Vorhaben sind jedes für sich genommen sehr umfangreich. Daher möchte ich in meiner Antwort systematisch vorgehen. Zunächst zum "DigiG". Mittlerweile existieren im Gesundheitswesen viele digitale Services wie die elektronische Patientenakte (ePA) oder das E-Rezept. Aktuell sind diese Anwendungen aber noch zu wenig verbreitet. Weniger als ein Prozent der gesetzlich krankenversicherten Personen hat die ePA installiert. Außerdem wurden im ersten Halbjahr 2023 knapp ein Prozent aller Rezepte digital ausgestellt. Gerade in einem Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern, das stark vom demografischen Trend betroffen ist und in dem der Fachkräftemangel bereits länger ein Thema ist, brauchen wir daher digitale Lösungen, die einen Mehrwert bieten. Digitale Prozesse setzen sich nur durch, wenn sie für alle Beteiligten Vorteile bringen. Daher betrachte ich es als positiv, dass die Bundesregierung mit dem "DigiG" mehr und einfachere Anwendungsszenarien für digitale Services schaffen möchte.

Deshalb ist es richtig, dass ePA-Daten beim Arztbesuch automatisch in die Akte der Patientinnen und Patienten geladen werden und jeder bzw. jede Versicherte automatisch eine Akte erhält. Nur so kann das ambitionierte Ziel, bis 2025 sollen schließlich 80 Prozent der GKV-Versicherten eine ePA nutzen, erreicht werden. Die geplante Medikationsliste ist außerdem eine wichtige Mehrwert-Anwendung, denn sie schafft eine vollständige digitale Übersicht über alle verordneten Medikamente einer Person. Damit können wir in Mecklenburg-Vorpommern auch einen großen Schritt in Richtung mehr Patientensicherheit unternehmen. Ärztinnen und Ärzten wird es so möglich, die Medikation ihrer Patientinnen und Patienten besser im Blick zu behalten. Auch der Wegfall der 30 Prozent-Begrenzung für die Telemedizin kann ein Vorteil für die Versorgung in unserem Land sein. Schließlich sollen die Ärztinnen und Ärzte am individuellen Behandlungsfall selbst entscheiden, ob eine Behandlung per Videoschalte ausreichend ist. 

Im Gesetz wird auch das Thema der Übermittlungsgeschwindigkeit von Abrechnungsdaten durch die Kassenärztlichen Vereinigungen an die Krankenkassen angegangen. Die kürzeren Fristen sollen durch eine Übermittlung von Vorabdaten an das FDZ realisiert werden. Diese Daten sollten auch den Krankenkassen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Der GKV-Spitzenverband könnte dafür als "Datensammelstelle" fungieren, dem die unbereinigten Daten zugehen. So wären noch kürzere Fristen als im Gesetz bisher vorgesehen realisierbar. Diese Veränderungen würden es ermöglichen, dass Leistungsgeschehen im Land besser zu analysieren und so Planungsprozesse bedarfsgerechter zu gestalten.

Das wohl umfangreichste Projekt ist die angesprochene Krankenhausreform. Hier befinden sich Bund und Länder gegenwärtig in Abstimmungen, um den richtigen Weg einzuschlagen. Dabei stimmt aus meiner Sicht die Richtung der bisherigen Reformpläne. Die angestrebte Differenzierung der Leistungsgruppen ist eine wichtige Maßnahme, um die Versorgung der einzelnen Krankenhausstandorte im Land bedarfsgerecht zu planen. Dabei sollte die Aufteilung der Leistungen und der Versorgungslevel stringent am tatsächlichen Leistungsgeschehen vor Ort ausgerichtet sein. Die Reform der Investitionskostenfinanzierung kommt aus meiner Sicht bislang zu kurz in der öffentlichen Debatte. Die bereitgestellten Investitionsmittel sind aber ein wichtiges Fundament einer zukunftsfesten Krankenhausstruktur. Eng damit verbunden sind die Regelungen der Vorhaltekostenfinanzierung. Bei der Einführung der Vorhaltekosten muss aus meiner Sicht gellten: Erst planen, dann zahlen. Denn sonst werden nicht-bedarfsnotwendige Strukturen zementiert und die Reform verfehlt ihr Ziel die Versorgung qualitativ hochwertiger und passgenauer auszurichten.

TK: Vielen Dank für die Einordnung. Ihre Ausführungen zeigen schon, es handelt sich um sehr umfangreiche politische Reformvorhaben. Gibt es zwischen den Themen ein verbindendes Element?

Austenat-Wied: Der Fokus auf den stationären Bereich liegt sicher daran, dass der Veränderungsdruck dort gegenwärtig besonders groß ist. Wenn wir den Blick auf die vorgeschlagenen Versorgungslevel richten, fallen natürlich die Häuser der Grund- und Regelversorgung ins Auge. Diese Einrichtungen sollten zukünftig sektorenübergreifend ausgerichtet sein, um die ambulanten Versorgungsstrukturen in ländlichen Regionen zu stützen. Dazu fehlen bislang noch Konzepte oder konkrete Vorschläge für Veränderungen am Zulassungsrecht. Ich denke es ist aber nur eine Frage der Zeit und des Fortschritts der Krankenhausreform, bis diese Themen in den Fokus geraten. Ich freue mich sehr über die gegenwärtig sehr aufgeschlossene Haltung der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommerns (KV MV), wenn es um Versorgungsverbesserungen und Innovationen im Gesundheitswesen geht. Natürlich hat allein die KV MV den Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung, aber wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass die Menschen in unserem Bundesland gut versorgt werden. 

Für mich wäre es ein Ansatz, den §116a SGB V häufiger zu nutzen. Das heißt, in dauerhaft unterversorgten Regionen sollten die Krankenhäuser systematisch an der ambulanten Versorgung teilnehmen. Die ambulanten Leistungen könnten für die Krankenhäuser aus es den freistehenden Mitteln der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung (MGV) refinanziert werden. 

Manon Auste­nat-Wied

Manon Austenat-Wied, Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern

TK: Werden Sie dieses Thema auf ihrer Jahresfachtagung am 8. September adressieren?

Austenat-Wied: Wir haben mit unseren Referentinnen und Referenten sowie unserem Moderator breit aufgestellte Expertise vor Ort. Landtagspräsidentin und Hausherrin Birgit Hesse kennt sich als ehemalige Sozialministerin gut im Versorgungsbereich aus. Mit der aktuellen Gesundheitsministerin Stefanie Drese haben wir eine Expertin für die Krankenhausreform im Podium und Stefan Höcherl bringt als Leiter Strategie & Standards von der gematik jede Menge Digital-Expertise ein. Als Stimme des Events konnten wir Jürgen Zurheide gewinnen, der seit Jahrzehnten gesundheitspolitische Prozesse aus journalistischer Perspektive begleitet. Es dürfte also eine spannende Veranstaltung, mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Versorgungsherausforderungen und aktuellen gesundheitspolitischen Reformbemühungen werden.

TK: Sie haben die Fachexpertise bereits angesprochen, gibt es noch weitere Fähigkeiten, die für ein Gelingen der Reformen notwendig sind?

Austenat-Wied: Neben der fachlichen Expertise und einem ganzheitlichen Blick auf die Gesundheitsversorgung, brauchen wir auch Veränderungsbereitschaft bei den Akteurinnen und Akteuren der Versorgung vor Ort. Diskussionen über strukturelle Veränderungen führen dort oftmals reflexartig zum Aufmachen von Horrorszenarien. Statt Panikmache und einer defizitorientierten Perspektive, brauchen wir eine konstruktive Diskussion über die Versorgung der Zukunft. Wir brauchen zusätzlich noch mehr Kooperationen im Gesundheitswesen. So können die Aktiven der Versorgung, Herausforderungen gemeinsam bewältigen und voneinander profitieren. Ein praktisches Beispiel ist etwa, wenn Krankenhäuser unterschiedlicher Level kooperieren, damit angehende Medizinerinnen und Mediziner auch Ausbildungsabschnitte in kleineren Krankenhäusern im ländlichen Raum absolvieren können. Dadurch lernen die jungen Fachkräfte die Arbeit und Versorgungsbedarfe in ländlichen Regionen kennen und die ländlichen Kliniken erhalten langfristig einen verlässlichen Personalzugang von den ausbildenden Universitätskliniken.