Verschiedene Blickwinkel auf das Gesundheitssystem
Interview aus Saarland
Dr. Johanna Ludwig ist gelernte Chirurgin, leitet seit diesem Sommer aber die Stabstelle Versorgung bei der gematik. Darüber hinaus bringt sie auch die Perspektive als Gründerin und Beraterin mit. Grund genug, sie als Speakerin für unseren diesjährigen Herbstempfang zu engagieren. Wir haben im Anschluss über ihren neuen Job und die Zukunft der Versorgung gesprochen.
TK: Liebe Frau Dr. Ludwig, Sie sind gelernte Chirurgin, Gründerin und Beraterin für Digitalisierung im Gesundheitswesen. In diesem Sommer haben Sie Ihre ärztliche Tätigkeit beendet und sind zur gematik gewechselt. Wie kam es dazu?
Dr. Johanna Ludwig: Ich sehe seit Jahren, welches Potenzial in der Digitalisierung liegt, um unser Gesundheitswesen effizienter zu gestalten, die Versorgung für Patientinnen und Patienten sicherer zu machen und gleichzeitig die Attraktivität der klinischen Berufe zu stärken. Als die gematik auf mich zukam, um sich noch stärker versorgungsorientiert auszurichten, wollte ich ursprünglich lediglich die Geschäftsführung kennenlernen und aufzeigen, welche Aspekte aus meiner Sicht - einer Sicht aus der Versorgung - für eine erfolgreiche Digitalisierung entscheidend sind. Nach unserem Gespräch war für mich jedoch schnell klar: Der Wille, noch näher an die Versorgung zu rücken, ist absolut ernst gemeint. Wenn man einen Beitrag zu sinnvoller und effizienter Digitalisierung leisten möchte, ist die gematik genau der richtige Ort.
Dr. Johanna Ludwig
TK: Fehlt Ihnen die Arbeit am Bett?
Dr. Ludwig: Ärztin und Chirurgin zu sein ist für mich ein echter Traumberuf. Man ist Menschen, dem Leben und manchmal auch dem Sterben so unmittelbar nah. Das ist eine einzigartige Aufgabe. Natürlich fehlt mir die Arbeit mit Patientinnen und Patienten. Gleichzeitig bin ich jetzt an einem Ort, an dem ich hoffentlich gute Impulse für die Versorgung sehr vieler Menschen geben kann.
TK: Was macht die Arbeit in der Stabstelle Versorgung so spannend? Und wie sieht Ihre Arbeit genau aus?
Dr. Ludwig: Die Stabsstelle hat im Grunde zwei zentrale Aufgaben. Nach außen wollen wir viel stärker in die Versorgung reinhören und diesen Austausch systematischer gestalten. Wir möchten verstehen, welche Bedürfnisse und Herausforderungen dort konkret bestehen und zwar direkt aus der Praxis, aus Kliniken, aus Pflegeeinrichtungen, Apotheken. Nach innen geht es darum, in der gematik das Bewusstsein weiter zu stärken, dass jede technische Entscheidung spürbare Folgen im Versorgungsalltag hat. Eine scheinbar kleine Änderung, zum Beispiel ein zusätzlicher Klick, kann im Stress einer Praxis oder Klinik viel ausmachen. Unsere Aufgabe ist es daher, kontinuierlich zu begreifen, wie unsere Produkte im Alltag wirken, ob sie Arbeitsabläufe wirklich unterstützen und, falls das nicht der Fall ist, gemeinsam nachzujustieren. Es gilt die Versorgung noch stärker in Produktentwicklung zu übersetzten und umgekehrt.
Digitalisierung im Gesundheitswesen gelingt nur, wenn alle Akteure zusammenarbeiten.
TK: Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen hinkt Deutschland noch immer ein bisschen hinterher. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Dr. Ludwig: In Deutschland haben wir eine sehr komplexe Struktur mit vielen unterschiedlichen Akteuren: 94 gesetzliche Krankenkassen, und über 200 verschiedene Softwaresysteme in Praxen, Apotheken, Zahnarztpraxen und Krankenhäusern. Für zentrale Anwendungen wie das E-Rezept oder die elektronische Patientenakte gibt es ein geschütztes Netz, die Telematikinfrastruktur. Darüber läuft auch der digitale Datenaustausch, zum Beispiel über den E-Maildienst KIM. Insbesondere die Übermittlung von Informationen zwischen den Sektoren ist anspruchsvoll.
Entscheidend für den Erfolg von allem ist, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel verfolgen. Digitalisierung im Gesundheitswesen gelingt nur, wenn alle Akteure zusammenarbeiten.
TK: Wie kann die Digitalisierung bei den vielen Herausforderungen im System helfen?
Dr. Ludwig: Die Digitalisierung kann auf verschiedenen Ebenen dabei helfen, den aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen zu begegnen. Für Leistungserbringende ermöglicht sie effizientere Arbeitsabläufe, entlastet von bürokratischen Aufgaben, verbessert den Zugang zu allen relevanten Informationen und schafft so mehr Zeit für die eigentliche Patientenversorgung. Für Patientinnen und Patienten sorgt Digitalisierung für eine bessere Orientierung im System, mehr Transparenz über Diagnosen, Medikation und Behandlungsschritte sowie für eine sicherere Versorgung, da mehr Informationen zur Verfügung stehen. Übergreifend kann Digitalisierung die Datennutzung für Forschung und Prävention deutlich verbessern und damit gezieltere Maßnahmen zur langfristigen Gesundheitsförderung ermöglichen.
TK: Welche Rolle spielt die elektronische Patientenakte dabei?
Dr. Ludwig: Die elektronische Patientenakte spielt eine zentrale Rolle, weil sie Informationen dort verfügbar macht, wo sie gebraucht werden. Aber sie ist nicht die einzige Antwort auf alle Digitalisierungsfragen. Wichtig ist, den gesamten Versorgungsprozess im Blick zu behalten und für jede Situation die bestmögliche Lösung zu entwickeln. Nicht alles lässt sich oder sollte man einfach auf die elektronische Patientenakte übertragen. Digitalisierung ist immer dann sinnvoll, wenn sie den Alltag von Patientinnen und Patienten und den Versorgenden tatsächlich unterstützt.
TK: Zum Abschluss noch ein kleiner Blick in die Zukunft: Wie wird das deutsche Gesundheitssystem im Jahr 2035 aussehen?
Dr. Ludwig: Digitaler - davon bin ich überzeugt. Wir stehen aktuell vor gewaltigen Herausforderungen: Kostendruck, Fachkräftemangel und der demografische Wandel. Jede dieser Herausforderungen bringt aber auch Chancen mit sich. Jetzt ist der Moment, diese Chancen zu nutzen und unser System so weiterzuentwickeln, dass es zukunftsfähig bleibt. Wenn wir das gemeinsam schaffen, können wir 2035 ein modernes, effizientes und patientenzentriertes Gesundheitswesen haben.
Zur Person
Dr. Johanna Ludwig hat an der Universität des Saarlandes in Homburg Medizin studiert, ist Chirurgin, aber auch Gründerin und Beraterin für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Seit August 2025 leitet sie die Stabstelle Versorgung bei der gematik.