TK: Herr Cardinal, in der Veranstaltung "Patientenorientierte Versorgungssteuerung - digital vor ambulant vor stationär" geht es unter anderem um den Zugang zur Gesundheitsversorgung, Kommunikation und Künstliche Intelligenz. Wieso passen die drei Themen aus Ihrer Sicht gut zusammen?

Daniel Cardinal: Die drei Themen sind fundamental miteinander verknüpft, da sie nur im Zusammenspiel unser Gesundheitssystem grundlegend verbessern können. Wir sehen ganz aktuell, wie sich der Zugang zur Gesundheitsversorgung immer schwerer gestaltet: Die Wartezeiten, insbesondere auf Facharzttermine, werden immer länger. Patientinnen und Patienten nutzen - mangels Verfügbarkeit - Versorgungsangebote entweder gar nicht oder sie weichen auf andere Angebote, bspw. die Notfallambulanz oder andere Fachrichtungen, aus. Wir erzeugen damit eine klassische Fehl- und Unterversorgung. Gleichzeitig findet im deutschen Gesundheitssystem weiterhin eine Überversorgung statt, bspw. durch Doppeluntersuchungen. Durch einen zielgerichteten Einsatz von künstlicher Intelligenz können personalisierte Empfehlungen zum Versorgungsbedarf gegeben und der Patient oder die Patientin in die richtige Versorgung geleitet werden. Dabei ist die Kommunikation von entscheidender Bedeutung. Wir müssen sicherstellen, dass Patientinnen und Patienten und Gesundheitsdienstleister die Vorteile und Funktionsweisen dieser Technologien verstehen, um Bedenken abzubauen und Vertrauen zu schaffen.

TK: Sie werden einen Vortrag zu einer besseren Versorgungssteuerung halten. Wie stellt sich die TK das vor?

Cardinal: Ich möchte natürlich nicht das Ergebnis meines Vortrags spoilern. Ein zentrales Element wird das Ersteinschätzungstool sein, das auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Hierüber erfolgt die Steuerung in die passende Versorgungsebene. Zudem setzen wir in unserem Modell auf eine vernetzte Versorgung, bei der alle Akteurinnen und Akteure - von der Haus- und Fachärzteschaft bis hin zum Physiotherapeuten und der Apothekerin - eng zusammenarbeiten. Den Rahmen bilden dabei digitale Lösungen wie Telemedizin, die Nutzung und der Ausbau der elektronischen Patientenakte (ePA) und eine digitale Terminvergabe.

Aktuell haben wir noch die Chance, diese Veränderung aktiv zu gestalten. Daniel Cardinal, Geschäftsbereichsleiter Innovation & ambulante Versorgung

TK: Warum ist eine zeitnahe Umsetzung so wichtig?

Cardinal: Wir müssen jetzt den aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen begegnen. Die demografische Entwicklung bei einem steigenden Bedarf an Gesundheitsleistungen und immer höheren Ausgaben erfordern sofortige Maßnahmen. Verzögerungen führen unweigerlich zu einer Verschlechterung der Versorgungsqualität und erhöhen die Belastung für Patientinnen und Patienten und medizinisches Personal. Wir leisten uns seit Jahren eines der teuersten Gesundheitssysteme weltweit, bei gleichzeitig mittelmäßiger Outcome-Qualität. Aktuell haben wir noch die Chance, diese Veränderung aktiv zu gestalten. Wenn wir weiter warten, werden die fehlenden Finanzmittel und das mangelnde Vertrauen der Patientinnen und Patienten zu einer zwangsweisen und sehr schmerzhaften Veränderung führen. 

Daniel Cardinal

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Leiter des Geschäftsbereichs Innovation & ambulante Versorgung der Techniker Krankenkasse

TK: Gesundheitsdaten werden in jedem Fall eine wichtige Rolle spielen. Wo sehen Sie die größten Potenziale dieser Daten?

Cardinal: Gesundheitsdaten bieten enormes Potenzial, insbesondere in der personalisierten Medizin und der Prävention. Durch die Analyse von Patientendaten, sowohl über lange Zeiträume als auch über verschiedene Professionen hinweg, können wir Muster erkennen, die uns helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und individuelle Behandlungsstrategien zu entwickeln. Durch Früherkennung und personalisierte Medizin werden wir Effizienzen in der Behandlung heben und gleichzeitig die Versorgungsqualität deutlich verbessern. Die datengetriebene Versorgung wird ein unterstützendes Instrument in der Diagnostik und der Behandlung, kein Eingriff in die Entscheidungskompetenz der Ärztinnen und Ärzte.

TK: Welche Rolle spielt die elektronische Patientenakte hierbei?

Cardinal: Der entscheidende Vorteil ist, dass die medizinischen Informationen eines Patienten oder einer Patientin in dem Moment vorliegen, in dem sie benötigt werden. Mit Einführung der ePA werden endlich alle relevanten Daten sicher und zugänglich an einem zentralen Ort gespeichert. Durch die ePA fördern wir die Kontinuität der Versorgung, indem Informationen über verschiedene Behandlungsschritte hinweg jederzeit verfügbar sind. Wir vereinfachen damit die Mit- und Weiterbehandlung, vermeiden Doppeluntersuchungen und bei einem Arztwechsel bleiben alle Behandlungsdaten weiterhin verfügbar. 

Mit Einführung der ePA werden endlich alle relevanten Daten sicher und zugänglich an einem zentralen Ort gespeichert. Daniel Cardinal, Geschäftsbereichsleiter Innovation & ambulante Versorgung

TK: Wie muss die Kommunikation aus Ihrer Sicht aussehen, um die Menschen bei all den anstehenden Veränderungen mitzunehmen?

Cardinal: Ich erlebe derzeit, dass der Nutzen für viele noch nicht klar ersichtlich ist. TK-Versicherte finden in ihrer ePA aktuelle Impf- sowie Vorsorgeempfehlungen und werden so dabei unterstützt, ihre Gesundheit langfristig zu erhalten. Damit die ePA ihre Vorteile im akuten Krankheitsfall ausspielen kann, muss sie in "gesunden" Zeiten mit Daten gefüttert werden. Wer konsequent seine ePA bespielt bzw. bespielen lässt, kann sich im Krankheitsfall darauf verlassen, dass das medizinische Personal auf eine vollständige und umfassende Informationsbasis zurückgreifen kann.

Bei der Kommunikation sind sämtliche Akteurinnen und Akteure des Gesundheitswesens gefragt. Als Krankenkasse informieren wir seit Einführung der Akte regelmäßig auf allen unseren Kanälen, etwa in den Kundenmagazinen, unserer Website, auf Social Media und im persönlichen Kundenkontakt. Wir stehen unseren Versicherten als Ansprechpartner zur Verfügung, helfen bspw. auch bei der Erst-Einrichtung der ePA oder bei Fragen zur Bedienung der Akte. Ich wünsche mir, dass auch die Praxen und Ärztinnen und Ärzte aktiv auf die Patientinnen und Patienten zugehen und für die Nutzung der ePA werben. In der Arztpraxis findet eine andere Art des Kontakts als mit der Krankenkasse statt, hier ist der konkrete Anwendungsfall, hier wird der Nutzen der ePA sichtbar.